Was ist

Was ist

Viele Probleme der vernetzten Welt lassen sich auf hochspezialisierte Algorithmen zurückführen, die daraufhin optimiert sind, für ein möglichst hohes Datenaufkommen zu sorgen. Dazu arbeiten viele Tech-Unternehmen mit Methoden der behavioristischen Verhaltensmodifikation, die über ein komplexes System aus Belohnungs-Impulsen die Interaktionsbereitschaft ihrer Nutzer erhöhen. Diese Praxis fördert nicht nur Abhängigkeit, sondern schafft neue und effektive Möglichkeiten der Meinungs- und Verhaltensmanipulation.

Wie Algorithmen unfreiwillig Hass säen_

Die Dominanz polarisierender Inhalte in sozialen Medien ist kein Zufall, sondern Konsequenz von Algorithmen, die Zwischentöne filtern und Extrempositionen verstärken. Dieser Effekt schürt nicht nur in den Industrienationen, sondern auf der ganzen Welt Konflikte. Viele Probleme, wie zum Beispiel die Renaissance des Nationalismus in allen vernetzten Gesellschaften, werden oft exklusiv in den Bereichen Gesellschaft und Politik verortet. Ein zentraler Treiber für das Auseinanderdriften von Gesellschaften ist allerdings Technologie.

Das Zauberwort im Silicon Valley lautet Engagement. Ein hohes Engagement wird immer dann erzielt, wenn Nutzer möglichst oft und lange mit einem Service in Interaktion treten. Denn Interaktion ist der Samen für Daten und Daten sind der wertvollste Rohstoff der Welt. Das Interaktionsverhalten jedes einzelnen Users wird permanent in Echtzeit analysiert. Das können Sachbearbeiter aus Fleisch und Blut nicht leisten, stattdessen messen sogenannte Algorithmen die Aktivitäten jedes Nutzers voll automatisiert. Algorithmen sind Hilfsprogramme, die man mit allen erdenklichen Aufgaben beauftragen kann, natürlich auch mit mehreren Aufgaben gleichzeitig.

Der Kundenbetreuungs-Algorithmus von Facebook analysiert nicht nur, mit welchen Inhalten ein Nutzer am häufigsten interagiert, er steuert auch das Auftreten dieser Inhalte. Und zwar so, dass der Nutzer so oft wie möglich interagiert, also kommentiert, liked, teilt oder wenigstens liest. Der Algorithmus versucht also durch permanente Anpassung der Inhalte die Interaktionsbereitschaft auf ein Maximum zu bringen. Das ist ökonomisch nur nachvollziehbar, schließlich bedeutet mehr Interaktion mehr Daten und mehr Daten bedeuten mehr Gewinn.

Über die Sicherheitslücken des menschlichen Betriebssystems_

Allerdings gibt es ein folgenschweres Missverständnis: Nicht nur im Silicon Valley herrscht die Annahme, dass Menschen hauptsächlich über positive Emotionen in Interaktion treten. Dieser dramatische Vorzeichenfehler verkennt unsere Psychologie. Tatsächlich belegen unzählige Studien, dass wir messbar schneller und intensiver auf negative Impulse wie Angst, Wut, aber auch Ekel reagieren.

Der Grund liegt in unserer Evolutionsgeschichte: Den Homo Sapiens gibt es seit ca. 300.000 Jahren, davon haben unsere Vorfahren in mehr als 99 Prozent der Zeit fast exklusiv ums Überleben gekämpft. Eine bedrohliche Umwelt, Krankheiten, vor allem aber das Gewaltpotential unserer Artgenossen haben unsere Wahrnehmung aus gutem Grund für das Erkennen von Bedrohungen geschult. Daher gibt es eine ganz ausgeprägte Hierarchie im Spektrum unserer Emotionen, bei der Angst mit Abstand an erster Stelle steht.

In den letzten 200 Jahren haben Gesetze, technischer Fortschritt und Durchbrüche in der Medizin viele existentielle Bedrohungspotentiale dramatisch reduziert, jedoch passt sich das Gehirn in so kurzer Zeit nicht an die neue Sicherheitslage an. Das heißt: Unsere Wahrnehmung ist noch immer vom Überlebenskampf geprägt. Oder anders gesagt: Unser Gehirn hat sich in einer Zeit geformt, in der wir von den Annehmlichkeiten der modernen Welt noch nichts wussten.

Ein Algorithmus dessen Zielfunktion
unsere maximale Interaktion ist,

gewichtet Angst, Hass und Wut
zwangsläufig höher als Freude und Zufriedenheit.

So verwundert es nicht, dass sich Inhalte, die negative Emotionen bedienen, um ein Vielfaches schneller verbreiten als “gute Nachrichten”. Diese Erkenntnis ist mehrfach belegt und maßgeblich dafür verantwortlich, dass sich überall in der vernetzten Welt Negativ-Spiralen Bahn brechen und Gräben durch Gesellschaften ziehen.

Besorgniserregend ist zudem die behavioristische Komponente des Systems. Wir lernen buchstäblich, dass Extrempositionen ein höheres soziales Feedback versprechen als gemäßigte Inhalte. Verhaltensmodifikation wird über Belohnungen erzielt, soziale Netzwerke sind nichts anderes als Systeme, die permanent Belohnungsimpulse aussenden, um für hohe Interaktionsraten zu sorgen. Diese Konditionierung sorgt im besten behavioristischen Sinne für eine Veränderung des Denkens und führt uns zurück zu den philosophischen Debatten um die Qualität des freien Willens.

Die Beihang University analysierte 2012 die Interaktionsdichte und Verbreitungsgeschwindigkeit von Emotionen. Die Visualisierung der Ergebnisse macht mindestens nachdenklich.

Rot: Wut I Blau: Angst I Schwarz: Ekel I Grün: Freude

Warum sind meine Daten

so viel wert?

Du hast bestimmt schon mal irgendwo den Satz “Daten sind das neue Öl.” gehört. Das impliziert bereits, dass Daten extrem wertvoll sind, man darf sogar behaupten: Daten sind der wertvollste Rohstoff der Welt. Während Rohöl direkt aus Mutter Erde gewonnen wurde, ist der Rohstoff-Träger für Daten der Mensch. Wann immer Du im Internet etwas anklickst, teilst, kommentierst, bezahlst oder suchst, entstehen Daten, die gesammelt werden. Google und Facebook gehören zu den sichtbaren Unternehmen, daneben gibt es zahlreiche nicht sichtbare auf Daten-Abbau spezialisierte Dienste, die im Hintergrund mitsammeln. Über diese Daten werden komplexe Nutzerprofile erstellt. Diese Profile ermöglichen es Unternehmen, Ihre Werbebotschaften gezielt an die Nutzer auszuspielen, die einem ganz bestimmten Profil entsprechen. Dabei gilt: Je mehr Daten vorhanden sind, desto besser kann man die Zielgruppe eingrenzen.

Willkommen im Datenkapitalismus_

Auf diese Weise kann etwa ein Hersteller von Rasenmähern exakt die Personen ansprechen, die mit einer Wahrscheinlichkeit von über 90 Prozent demnächst einen Rasenmäher kaufen werden. Überhaupt geht es im Datenhandel hauptsächlich um statistische Wahrscheinlichkeiten. Die besten Statistiker und Mathematiker der Welt werden von Facebook, Google und so genannten Daten-Brokern umworben, um jeden Nutzer so fein wie möglich zu vermessen. In der Hauptsache dieser Kartografie geht es um Verfeinerung, deshalb gibt es von Dir auch keine unwichtigen Daten. Alles, was Dein Profil verfeinert, ist für die digitale Werbewirtschaft hoch interessant und sei es nur die Uhrzeit, wann Du dir mit deiner smarten Zahnbürste die Zähne putzt. Statistiker suchen mit Hilfe von spezialisierten Algorithmen sogenannte Korrelationen, also Daten-Zusammenhänge. Viele Korrelationen erschließen sich der menschlichen Logik nicht.

Ein Beispiel:

  • Du verlässt jeden Morgen zwischen 8:00 Uhr und 8:30 das Haus (Das verrät Dein Smartphone)
  • Du hast eine Schwäche für Bircher Müsli (Das verraten Deine Käufe, die Du mit der EC-Karte tätigst)
  • Du bist Fan der Toten Hosen (Das verrät Facebook oder Spotify)
  • Du leidest unter Blasenschwäche (Das verrät Deine Google-Suche bzw. die Bestellung entsprechender Medikamente)
  • Du liebst Krimis (Das verrät Amazon)
  • Du  besuchst jedes Jahr über die Weihnachtsfeiertage Paderborn (Das verraten die Positionsdaten Deines Smartphones)

Diese überschaubare Daten-Kombination kann bedeuten, dass Du mit einer Wahrscheinlichkeit von über 90 Prozent mindestens zweimal im Jahr ein Bordell besuchst. Und es gibt nichts, was aus diesem Datensatz logisch darauf schließen lässt. Es erscheint rundheraus absurd, aber würden in der Praxis alle Menschen mit genau diesem Profil nach ihrer Sexualität befragt werden, würden über 90 Prozent angeben, sie seien Bordell-Kunden – würden sie wahrheitsgemäß antworten. Zum Glück sind wir Servern gegenüber immer ehrlich. Bitte versuche nicht, einen Zusammenhang zu finden. Der Mensch neigt sehr dazu, Muster erschließen zu wollen. Das Muster ist irgendwo in den vielen tausend Unter-Korrelationen versteckt, die nur eine spezialisierte und vor allem objektive Statistik-Software ermitteln kann. Die sechs hier präsentierten Parameter sind lediglich der kleinste gemeinsame Nenner.

Nehmen wir an, Du bist Betreiber einer Bordell-Kette und willst möglichst viele Kunden in Dein Haus locken. Du kannst wie früher auf die alte Busbeklebung setzen und beten, dass der Bus per Zufall an einer Person vorbeifährt, die mit dem Gedanken spielt, mal wieder ins Bordell zu gehen. Du weißt: Die Streuverluste sind gigantisch. Die moderne Variante nennt sich Ad Targeting. Auch hier wollen wir der Verständlichkeit halber bei einem Praxisbeispiel bleiben…

Daten sind Macht: Jeder Klick zählt_

Ein Datendienstleister ermittelt für Dich im Rahmen einer Korrelations-Analyse exakt die Zielgruppen-Parameter, die Du benötigst, um ganz gezielt all jene Facebook-Nutzer anzusprechen, die mit einer Wahrscheinlichkeit von über 90 Prozent noch dieses Jahr ein Bordell besuchen werden. Mit diesem Datensatz wird eine Facebook-Anzeige erstellt. Das ist übrigens so einfach, dass es selbst ein Grundschüler kann. Über eine übersichtliche Eingabemaske kannst Du auf Facebook alle Parameter angeben, welche die Korrelations-Analyse ermittelt hat. Damit wird Deine Zielgruppe optimal eingegrenzt.

Anschließend legst Du das Budget fest. Von der Höhe des Budgets ist die Reichweite der Anzeige abhängig. Für 150 Euro erreichst Du vielleicht 5 Prozent Deiner Zielgruppe, für 10.000 EUR kannst Du unter Umständen schon fast alle Nutzer erreichen, die mit höchster Wahrscheinlichkeit noch dieses Jahr einen Sexworker mandatieren wollen. Dann noch Facebook das Budget überweisen und die Anzeige ist online.

Diese Methode nennt sich Ad Targeting und ist die Glaskugel, die sich Werbetreibende immer gewünscht haben. Es gibt praktisch kein Unternehmen und keine Organisation, die es sich leisten kann auf dieses prophetische Werkzeug zu verzichten. Und das ist der Hauptgrund, warum Daten der wertvollste Rohstoff der Welt sind.

Leider ist Ad Targeting nicht auf die Produktkommunikation beschränkt, sondern gilt für jede Form der Kommunikation. Wenn Du zum Beispiel die Botschaft verbreiten willst, Hillary Clinton habe alle männlichen Afroamerikaner als Raubtiere bezeichnet, um genau diese Ziel- bzw. Wählergruppe vom Urnengang abzuhalten, dann kannst Du auch das über Ad Targeting bequem einrichten. Das war übrigens kein fiktives Beispiel, sondern eine Maßnahme aus dem US-Wahlkampf 2016.

Digitale Werbung zieht Kriminelle an_

Geschätzt mehr als die Hälfte des jährlichen weltweiten Etats für digitale Werbung verschwindet in den Taschen von Werbebetrügern. Sie gaukeln entweder falsche Personen oder falsche Klicks vor und lassen sich dies von den werbenden Marken bezahlen. Einige Schätzungen gehen von einem jährlichen zweistelligen Milliardenbetrag aus, der auf diese Weise kriminell erwirtschaftet wird.

Da alle Beteiligten anteilmäßig an der Menge der Views oder Klicks bezahlt werden, besteht seitens der digitalen Agenturen und sozialen Plattformen kein wirtschaftliches Interesse an der Bekämpfung dieses professionell organisierten Betrugs. Übrigens ist dieser Markt heute schon einer der großen Märkte für organisierte Kriminalität und gerade deshalb äußerst lukrativ, da es keine nennenswerte Verfolgung der Straftaten gibt.

Die Abschätzung des Schadens ist schwierig, da das Hauptproblem darin besteht, dass die guten Betrüger eben nicht erkannt werden. Experten gehen von einer Dunkelziffer von 10% bis zu 80% des Werbeetats aus (wobei die hohen Prozentzahlen üblicherweise von Unternehmen präsentiert werden, die Dienstleistungen zur Aufdeckung von Werbebetrug anbieten).

Der Verlust der Werbeindustrie für 2018 wird zwischen 7 und 19 Milliarden US Dollar geschätzt. Für 2019 liegen die Prognosen etwas höher bei ca 50 Milliarden US Dollar. Genau aber kann und will keiner der Betreiber diese Zahlen validieren.

Doch nicht nur der finanzielle Schaden, der Unternehmen (und somit auch den Verbrauchern) durch betrügerische Abrechnung nicht erbrachter Leistung entsteht, ist immens. Auch der Energiebedarf für Werbung bedeutet ein großes Problem für Umwelt und Klima, ohne dass dem überhaupt ein realer Nutzen für die Gesellschft gegenüber steht.

Es gibt viele Gründe zu handeln. Legen wir los!